Die zentrale Folge der Coronakrise für das Recruiting in Organisationen war die Notwendigkeit, Prozesse arbeitsort- und arbeistszeitunabhängig gestalten zu müssen. Dies setzt die Digitalisierung aller Daten und Prozesse voraus. Nur dann ist es möglich mit verschiedenen Akteuren und Akteurinnen, die auf die Daten zugreifen können, unabhängig vom Arbeitsort virtuell zusammenzuarbeiten und über den Zugriff auf die gleichen Daten (mit unterschiedlichen Zugriffsrechten), zu unterschiedlichen Zeiten zu arbeiten. Den Stand des eigenen E-Recruiting haben Organisationen in dieser Krise unmittelbar festgestellt. Je weiter die Digitalisierung fortgeschritten ist, desto einfacher ist es, unabhängig von Ort und Zeit arbeiten zu können.
In dieser Krise zeigte sich auch, dass E-Recruiting mehr ist als Personalmarketing über soziale Medien oder die Möglichkeit Bewerbungsunterlagen digital einreichen zu können. E-Recruiting umfasst die Digitalisierung aller Daten und Prozesse im Handlungsfeld der Personalauswahl, von der Erfassung der Bewerbendendaten, der Stellenpläne und Anforderungsprofile, das Online-Recruiting, die Aufbereitung für alle Akteure (z.B. Fachvorgesetzte, Betriebsräte oder Auswahlkommissionen), die systematische Erfassung aller Ergebnisse der Auswahlinstrumente, der Abgleich von individuellen Kompetenzen mit den Anforderungen der Stelle, der Kommunikation mit den Bewerbenden bis hin zur Übernahme der Daten der neuen Mitarbeitenden in das Personalinformationssystem. Je umfassender die Digitalisierung implementiert ist, desto eher können Prozesse optimiert werden (z.B. schnelle Informationen für die Bewerbende, Kürzung der Bearbeitungszeiten durch paralleles Arbeiten von Fachvorgesetzten und Betriebsräten bei der Bewerbendenvorauswahl).
Dazu kommt, dass eine Vielzahl von digitalen Auswahlinstrumenten entwickelt wurden, die eingebunden werden können. Angefangen bei Selbsttests für interessierte Personen, die anhand ihrer Ergebnisse fundierter entscheiden können, ob sie sich bewerben wollen, über zeitsynchrone oder zeitasynchrone Videointerviews bis hin zur Analyse von biografischen Fragebögen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI). Welche Auswahlinstrumente für welche Organisation hilfreich sind, muss wie bisher auch, im Einzelfall entschieden werden. KI kann Diskriminierung verschärfen (ein Beispiel von Amazon: https://www.reuters.com/article/us-amazon-com-jobs-automation-insight/amazon-scraps-secret-ai-recruiting-tool-that-showed-bias-against-women-idUSKCN1MK08G), KI kann aber auch dem Informationsbedürfnis von Bewerbenden über Chatbots entgegen kommen.
Die Coronakrise hat vielen Organisationen gezeigt, dass Digitalisierung die Basis zur Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort ist. In der Personalauswahl können auf dieser Basis auch Prozesse beschleunigt und flexibilisiert werden und Kommunikation und Kontakt mit Bewerbenden kann optimiert und gegebenenfalls virtualisiert werden. Aber wie immer: schlechte Prozesse werden über Digitalisierung nicht besser und wenn sowohl Prozesse neu durchdacht und aufgesetzt werden müssen und gleichzeitig digitalisiert werden, dann ist das eine sehr komplexe und zeitintensive Aufgabe. Die Coronakrise hat aber gezeigt: diese Aufgabe ist weder aufschiebbar noch vermeidbar.
Prof. Dr. Monika Huesmann ist Autorin mehrerer Studienbriefe der Deutschen Akademie für Management