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4. September 2014 | von Prof. Dr. Torsten Spandl

Echtzeitfähigkeit im Marketing – eine neue Disziplin

Die Kataloge von Quelle, Neckermann und Otto hatten früher eine zentrale Orientierungsfunktion im deutschen Handel: Sie waren Sortiments- und Preisanker für Kunden und Konkurrenten. Laufzeiten von bis zu einem Jahr waren der Inbegriff der Solidität, auf diese schriftlich fixierten Zusagen konnten sich Markt und Kunden verlassen.
Heute ändert sich vieles im Minutentakt. Groß diskutiert wurden bspw. Preisanpassungen anhand eines vom Wall Street Journal dokumentierten Preises für ein Haushaltskleingerät: Der amerikanische Stationärhändler Sears bot die Mikrowelle für einen festen Preis an, einige Onlinehändler haben Preisanpassungen in den Abendstunden vorgenommen, amazon änderte den Preis bereits neun Mal im Laufe eines Tages. Auf Preisvergleichsplattformen gelistete Online-Shops überprüfen heute auf 15-Minuten-Basis die Preise und legen vollautomatisch je nach Nachfragesituation höhere oder niedrigere Preise fest.
Diese finanzwirtschaftlich orientierte Echtzeitmarketing-Disziplin wird noch um alternative Kundenansprache-Möglichkeiten erweitert. Ein Beispiel ist der letzte Super Bowl, bei dem es zu einer 30-minütigen Unterbrechung wegen Stromausfall kam. Lt. dem Mikroblogging-Dienst Twitter haben werbungstreibende Unternehmen nach nur 4 Minuten zum ersten Mal auf den Hashtag #poweroutage geboten, der Produzent der OREO-Kekse hat noch während des Stromausfalls auf Twitter mit der Aussage „You can still dunk in the dark“ das aktuelle Ereignis zum Anlass genommen, um live zu werben.
Marketing in Echtzeit ist heute damit bereits weit verbreitet. In welchen Bereichen kann es zum Einsatz kommen? Eigentlich in allen 4 Ps, die das klassische Marketing beschreiben:

P – Produkt: Das Produktangebot. Online-Shops können bestimmte Sortimente zu dem Live-Zeitpunkt freigeben, wenn der Kaufanlass gegeben ist. Stationäre Möbelanbieter müssen darauf vertrauen, dass die geplante Produktpräsentation von Gartenmöbeln mit dem Start des Frühlings einhergeht. Onlineshops können bei einem Wintereinbruch im März weiter mit Sortimenten für die kalten Jahreszeiten arbeiten und bewerben Gartenmöbel erst dann, wenn ein Kaufanlass durch die steigenden Temperaturen gegeben ist. Auch rund um große Medienereignisse, wie Olympia und Fußball-Weltmeisterschaften kann man beobachten, dass das Produktangebot live und interaktiv angepasst wird.
P – Price: Ein dynamisches Feld. Im Supermarkt können digitale Preisauszeichnungen bspw. Ready-to-Eat-Mahlzeiten zu den Mittagszeiten mit alternativen Preisen anbieten, wo hingegen in den Abendstunden alkoholische Getränke und Spirituosen Preisanpassungen erfahren. Media Markt und Saturn projektieren gerade die flächendeckende Einführung elektronischer Preisschilder, um auf die zunehmende Dynamisierung des Pricings der Online-Wettbewerber zu reagieren.
P – Place: die richtigen Produkte am richtigen Ort. Wie soll distributorisch auf kurzfristige Marktchancen reagiert werden? Aber auch da lassen sich Beispiele anführen, die Entwicklung der Foodtrucks aus den USA zeigen, dass Angebote live und in Echtzeit an aufnahmebereite Konsumenten gebracht werden können. Nicht ohne Grund wird insbesondere der Begriff des Event-Marketings vielfach mit Live- und Echtzeitmarketing zusammengebracht.
P- Promotion: Digitale Aktivitäten benötigen wenig zeitlichen Vorlauf. Kunden können auf mobilen Devices sofort und unmittelbar erreicht werden. Google bietet dafür die Blaupause: jeder User erhält seine personalisierten Suchergebnisse –plus in Echtzeit Werbeanzeigen auf seine aktuellen Interessen abgestimmt.

Echtzeitmarketing wird die Branchen verändern, wir stehen am Anfang einer enormen Umwälzung. Endkunden kennen dieses Thema noch nicht – daher müssen Marketeers damit sorgsam umgehen. Verunsicherungen der Kunden, ob Sie bspw. den besten Preis angeboten bekommen haben, können nämlich das Image der Anbieter nachhaltig schädigen.

Prof. Dr. Torsten Spandl, Studienbriefautor der Deutschen Akademie für Management

 

Literatur:
Beispiel Haushaltskleingerät:
http://online.wsj.com/news/articles/SB10000872396390444914904577617333130724846

Beispiel Twitterwerbung während Super Bowl:
http://online.wsj.com/news/articles/SB10001424127887324761004578281812024380342?mod=WSJEUROPE_hps_LEFTTopWhatNews&mg=reno64-wsj&url=http%3A%2F%2Fonline.wsj.com%2Farticle%2FSB10001424127887324761004578281812024380342.html%3Fmod%3DWSJEUR

Prof. Dr. Torsten Spandl
Studium an den Universitäten Regensburg (D), der Aston Business School (GB) und der Wirtschaftsuniversität Wien (A), Promotion am Institut für Handel und Marketing an der Wirtschaftsuniversität Wien. Langjährige Tätigkeit in Marketing und Vertrieb, u. a. für die Otto Group, seit 2011 Engagement in der wissenschaftlichen Ausbildung, seit 2012 Dozent für Marketing und Vertrieb an der Fachhochschule für die Wirtschaft in Hannover. Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Vertriebsstrategien (insbesondere E-Business), Vertriebs-Personalführung, Forschungs- und Beratungsschwerpunkte: Allgemeine Marketing- und Vertriebsfragen, Handelsfragestellungen, E-Commerce sowie Franchisewirtschaft. (Quelle: Impressum des Studienbriefs) Prof. Dr. Torsten Spandl hat außerdem mehrere Artikel, unter anderem zum Dreiklang der Führung: der AFV-Ansatz im ManagementJournal verfasst.
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