Parallel zu den in Teil 1 beschriebenen exponentiellen Entwicklungen finden in vielen Bereichen eine Digitalisierung und damit auch eine Dematerialisierung von Produkten, Dienstleistungen und Prozessen statt. Ihr Transfer in Daten machen diese für eine Verarbeitung in KI-Prozessen verfügbar. Das bedeutet, dass die mit einer Dematerialisierung verbundene Überwindung der Körperlichkeit von Produkten, Dienstleistungen und Prozessen vielfach erst die Voraussetzungen schafft, um diese Bereiche der Künstlichen Intelligenz zugänglich zu machen, weil physische Grenzen und Beschränkungen überwunden werden.
Welches Ausmaß die Dematerialisierung bereits erreicht hat, zeigt Abb. 1. Hier wird aufgezeigt, welche Anwendungen in digitalisierter Form bereits auf das Smartphone oder andere mobile Devices verlagert wurden und diese zu Smart-Service-Terminals entwickelten. Selbständige Produkte wie Telefon, Kamera, Uhr, Reisewecker und Diktiergerät wurden zu Basisfunktionen des Smartphones und sind dort fest integriert. Der Schminkspiegel wurde durch die Selfie-Funktion ersetzt. Viele andere Produkte wurden zu einer App: Die Bandbreite umfasst hier u.a. die Wasserwaage, die Taschenlampe und den Kompass. Zusätzlich kann der Blutdruck überwacht, Online-Spiele genutzt und E-Mails, Notizen und mehr über Siri und Co. diktiert werden; deshalb entfallen ihre analogen Pendants. Gleichzeitig sind über diverse Apps auch Navigationssysteme, Terminplanung und mobile Zahlungssysteme digital verfügbar. Auch ganze Prozessketten der Verwaltung werden auf das Smartphone übertragen. vgl. Abb.1
Abb. 1: Dematerialisierung von Produkten, Dienstleistungen und Prozessen – die Entwicklung zum Smart-Service-Terminal
Quelle: Kreutzer/Sirrenberg, 2019, S. 75
Zusätzlich zeigt Abb. 1, dass auch die Zugangskontrolle immer stärker dematerialisiert wird. Sie reicht von Keyless Drive bei Autos über den
Online-Check-in in Hotels, bei Flügen und im Kino bis hin zum Smart Home, bei dem sich die Wohnungstür über eine App steuern lässt. Gleichzeitig deckt das Smartphone auch – heute ganz selbstverständlich – die wichtigen Empfangskanäle TV, Radio, Telefon und Internet ab. Dadurch wird ein Zugriff auf „alle“ Ressourcen der Menschheit über ein tragbares Gerät möglich.
Außerdem wird in Abb. 1 ersichtlich, dass sich das Smartphone auch zur zentralen Content-Plattform entwickelt. In digitaler Form sind Bücher, Zeitungen, Zeitschriften sowie CDs und DVDs bzw. deren Inhalte auf dem Smartphone physisch verfügbar. Alternativ können die jeweils gewünschten Inhalte (etwa Musik und Videos) auch in dem Moment gestreamt werden, zu dem der Nutzer dies wünscht. Klassische Kartenwerke (etwa Stadtpläne oder Straßenkarten) sind dematerialisiert, da die notwendigen Inhalte für die Navigation online verfügbar sind. Selbst Flugpläne in Buchform (bspw. von Lufthansa), mit denen vor Jahren noch jeder Manager bestückt war, werden nicht mehr gedruckt. Auch hier wurden die Inhalte dematerialisiert. Die Bereitstellung von Coupons verlagert sich (so bei Payback) immer stärker in die Online-Welt. Und wann haben Sie das letzte Mal jemandem ein Fotoalbum gezeigt – und nicht Ihre Fotos auf Smartphone oder Tablet präsentiert? Und wenn Sie tatsächlich noch ein Fotoalbum einsetzen, führt das sicherlich – meist zu positiven – Überraschungseffekten.
Mit der Dematerialisierung von Produkten und Dienstleistungen können auch die dahinter liegenden Prozesse umfassend digitalisiert werden. Zu denken ist hier an Beratungsprozesse durch Chatbots. Auch Zahlungsprozesse werden verstärkt dematerialisiert (nicht zuletzt durch die Einführung von Alipay, Apple Pay, Google Pay, paydirect, WeChatPay etc.). Die größte Verschiebung von Prozessen in die digitale Welt hat beim Online-Shopping stattgefunden: Im Jahr 2017 hat der Anteil des Online-Umsatzes am gesamten Einzelhandelsumsatz in Deutschland bereits einen Wert von 13,2 % erreicht – und eine weitere Steigerung ist zu erwarten (vgl. Statista, 2018)
Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer ist Autor mehrere Studienbriefe der DAM
Kreutzer, R./Sirrenberg, M. (2019): Künstliche Intelligenz, Grundlagen – Use-Cases – KI-Journey, Wiesbaden
Statista (2018): Umsätze im interaktiven Handel sowie Anteil am Einzelhandel in Deutschland in den Jahren 2014 bis 2017, https://de-statista-com.ezproxy.hwr-berlin.de/statistik/daten/studie/183956/umfrage/umsaetze-im-deutschen-versandhandel-und-anteil-am-einzelhandel/ , Zugegriffen 29.6.2019