In den letzten beiden Folgen der Podcast-Reihe ging es um Psychological Safety, um zu beschreiben, wie eine Atmosphäre aussehen kann, in der alle ihre Fragen, Ideen und Einwände einbringen können und um Vor- und Nachteile klassischer Hierarchien. Beides vor dem Hintergrund der Notwendigkeit von Innovation und Experimenten in der Auseinandersetzung mit dem digitalen Wandel. Wenn jetzt aber plötzlich alle anfangen ihre Einwände zu formulieren und zu allen möglichen Themen Nachfragen formulieren, wie können dann noch klare Entscheidungen getroffen werden? Überhaupt: Entscheidungen. Versuchen Sie in ihrem Arbeitsalltag mal genau zu beobachten, wann wer welche Entscheidungen trifft. Wahrscheinlich werden Sie feststellen, dass es alles andere als einfach ist, genau festzulegen, wie Entscheidungen zustande kommen – gerade bei kleinen alltäglichen Absprachen, die aber einen großen Einfluss darauf haben, wie die Zusammenarbeit organisiert ist. Das hat allerdings Nachteile: wer am lautesten ruft, setzt sich durch – wichtige Einwände oder gute Vorschläge werden vom größten Ego übertönt. Und gerade wenn man Dinge ausprobiert, experimentiert, liegt es in der Natur der Sache, dass eingeschlagene Wege sich auch als falsch herausstellen können. Meistens war dann aber nicht der ganze Weg ein Irrweg, sondern nur ein Teil des Prozesses wäre anders besser gelaufen. Wenn die Entscheidungen bis zu dieser Sackgasse dann allerdings größtenteils unreflektiert getroffen wurden, ist es so gut wie unmöglich eine Stelle im Prozess zu finden, an der man im zweiten Anlauf anders entscheiden kann. Wie kann also ein Tool aussehen, mit dessen Hilfe sich Entscheidungen unter Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven so reflektiert treffen lassen, dass man auch im Nachhinein noch zur Entscheidung zurückgehen kann, um dann anders zu entscheiden? Bei PODIUM Esslingen haben wir dazu sehr gute Erfahrungen mit dem Integrativen Entscheiden gemacht.
Integratives Entscheiden ist ein Instrument, dessen Grundgedanken in der Soziokratie formuliert wurden, einer Organisationsform, die konsequent auf Selbstorganisation setzt. Der Entscheidungsprozess ist relativ aufwendig, führt aber im besten Fall dazu, dass am Ende alle gemeinsam eine Entscheidung mittragen, da alle die Möglichkeit hatten ihre Perspektiven und Anregungen einzubringen. Wichtig dabei: am Entscheidungsprozess sollten nur die teilnehmen, die auch direkt von der Entscheidung betroffen sind. Bei der Entscheidung wird in fünf Schritten vorgegangen, die alle schriftlich formuliert und protokolliert werden.
Als erstes wird der sogenannte Treiber der Entscheidung formuliert. Der oder diejenige, die einen Entscheidungsvorschlag einbringen möchte, erklärt kurz den Grund und den Kontext für den Entscheidungsvorschlag.
Als zweites stellt er oder sie einen konkreten Vorschlag vor, der zur Entscheidung gestellt wird. Der Vorschlag muss vorab ausformuliert sein, das hilft, damit der Vorschlag wirklich konkret wird und nicht allgemein und abstrakt bleibt. Dabei ist auch ein klarer Zeitrahmen und eine verantwortliche Person für die Umsetzung zu benennen.
Im dritten Schritt können reihum alle Beteiligten inhaltliche Nachfragen stellen. Ganz wichtig: nur sachliche Nachfragen, noch keine Kritik und keine Bewertung des Vorschlags. Die Nachfragen werden jeweils kurz beantwortet.
Als viertes können Einwände und Vorschläge zur Anpassung des Vorschlags eingebracht werden. Wieder reihum, damit nicht nur die Lautesten zu Wort kommen. Vorschläge sind dabei kleine Anpassungen, die direkt eingearbeitet werden können. Einwände hingegen sind schwerwiegende Gründe, die bei der Person, die sie formuliert, dazu führen würden, dass er oder sie die Entscheidung so nicht mittragen würde. Erst wenn niemand der beteiligten Personen einen Einwand gegen den Entscheidungsvorschlag hat, gilt der Vorschlag als entschieden. Wird an dieser Stelle also kein Einwand erhoben, ist die Entscheidung getroffen. Sollte aber jemand einen Einwand formulieren, reicht es nicht aus, nur Kritik zu äußern. Mit dem Einwand liegt die Verantwortung bei der Person, die den Einwand formuliert hat, einen neuen Vorschlag zu erarbeiten, indem der Einwand ausgeräumt wird. Dann bricht der Entscheidungsprozess an dieser Stelle ab und beginnt mit dem neuen Vorschlag von vorn.
Wenn es keine Einwände mehr gibt, wird der Vorschlag umgesetzt und zu einem protokollierten Datum nochmals überprüft, ob der Vorschlag wie entschieden umgesetzt wurde und ob er sich in der Praxis bewährt hat.
Zum Nachlesen verlinken wir für Sie auch noch eine Aufbereitung des Entscheidungstools des tollen Magazins Neue Narrative, wo das Ganze mit Beispielen sehr anschaulich durchgespielt wird. Integrativ Entscheidungen zu treffen ist nicht einfach und braucht einiges an Übung. Deutlich leichter wird es, wenn sich eine Person nur auf die Moderation des Prozesses konzentriert. Aber aus eigener Erfahrung kann ich sagen: für komplexe Entscheidungen ist es definitiv einen Versucht wert!
Integrative Decision Making: Design Thinking für Entscheidungen. In: Neue Narrative.
Julian Stahl, Doktorand am WÜRTH Chair of Cultural Production an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und Leiter der Digitalsparte von PODIUM Esslingen