Viele Personalabteilungen führen Online-Recherchen über Bewerberinnen und Bewerber durch, um ein umfassenderes Bild von ihnen zu erhalten und mögliche Risiken frühzeitig zu erkennen. Diese Praxis ist aus Sicht eines gut funktionierenden Compliance-Systems oft unverzichtbar, birgt jedoch Risiken und führt regelmäßig zu Konflikten, die vor Arbeitsgerichten landen.
Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorf vom 10. April 2024 beleuchtet die Frage, ob und in welchem Umfang Arbeitgeber Bewerberinnen und Bewerber online recherchieren dürfen. In dem Fall hatte sich ein Anwalt auf eine Stelle bei einer Universität beworben, und eine Online-Recherche ergab, dass der Bewerber wegen gewerbsmäßigen Betrugs verurteilt worden war.
Das Datenschutzrecht für das Bewerbungsverfahren wird durch das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bestimmt. Seit einem EuGH-Urteil vom 30. März 2023 ist klar, dass die spezielle Regelung des Paragraf 26 BDSG nicht mehr anwendbar ist. Stattdessen gelten die allgemeinen Grundsätze des Artikels 6 DSGVO, die die Zulässigkeit der Datenverarbeitung im Bewerbungsverfahren definieren.
Laut Artikel 6 Absatz 1 lit. b DSGVO darf eine Datenverarbeitung erfolgen, wenn sie auf einer „Anfrage“ der betroffenen Person basiert und zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich ist. Das LAG Düsseldorf bewertete die Bewerbung als ausreichende Anfrage zur Datenerhebung, während viele Experten der Ansicht sind, dass eine konkrete Anfrage des Bewerbers erforderlich ist.
Die Datenerhebung muss zudem erforderlich sein und auf das „absolut Notwendige“ für den Auswahlprozess beschränkt bleiben. Das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an einer Recherche ist gegen das Datenschutzinteresse des Bewerbers abzuwägen. Eine gezielte und begrenzte Recherche auf berufsbezogenen Netzwerken wie LinkedIn oder Xing ist eher zulässig, während eine umfassende Online-Recherche die private Sphäre des Bewerbers betreffen und das Risiko eines Datenschutzverstoßes erhöhen kann.
Im konkreten Fall kam das LAG Düsseldorf zu dem Ergebnis, dass die Recherche erforderlich war, weil sie aus einem „konkreten Anlass“ und „zweckbezogen“ erfolgte. Der konkrete Anlass lag in der Bekanntheit des Namens des Bewerbers, und der Zweck bestand darin, die Eignung des Bewerbers festzustellen. Teile der Literatur zweifeln jedoch an, dass auch private Arbeitgeber einen tauglichen Zweck für eine solche Recherche haben können.
Grundsätzlich haben Bewerber das Recht, online auffindbare Informationen zu entfernen oder anzupassen, und dass sie keineswegs „machtlos“ gegenüber Informationen im Netz sind.
Auf der anderen Seite besteht auch eine Verpflichtung des Arbeitgebers, Bewerberinnen und Bewerber über die erhobenen Daten zu informieren. Dies umfasst die Quelle der Informationen und deren Weitergabe an andere Abteilungen oder konzernweit. Spätestens einen Monat nach der Datenerhebung muss die Bewerberin oder der Bewerber informiert werden, bei Weitergabe der Daten sogar umgehend. Die Nichteinhaltung dieser Informationspflicht kann Schadensersatzansprüche zur Folge haben.
KI-Anwendungen werden zunehmend im Bewerbungsverfahren eingesetzt, um Prognosen über die berufliche Entwicklung von Bewerberinnen und Bewerbern zu erstellen. Der Einsatz solcher Anwendungen ist datenschutzrechtlich problematisch, da oft nicht nachgewiesen werden kann, auf welchen Daten die Einschätzung beruht. Eine umfassende Information von Bewerberinnen und Bewerbern ist daher nicht immer möglich.
Theoretisch kann die Einwilligung des Bewerbers für eine Online-Recherche eingeholt werden. In der Praxis ist dies jedoch problematisch, da die Freiwilligkeit der Einwilligung im Bewerbungsprozess schwer sicherzustellen ist.
Die Bundesregierung plant ein neues Beschäftigtendatengesetz (BeschDG-E), das umfassende Änderungen und neue Anforderungen bei der Verarbeitung von Bewerber- und Beschäftigtendaten mit sich bringen würde. Eine zentrale Neuerung ist die detailliertere Erforderlichkeitsprüfung, bei der Arbeitgeber präziser abwägen müssen, ob und warum bestimmte Daten erhoben werden. Der Entwurf sieht eine Umkehr der Risikoverteilung vor, bei der das Interesse des Arbeitgebers an der Verarbeitung gegenüber dem Datenschutzinteresse des Bewerbers überwiegen muss.
Wachsende Dokumentationspflicht für den Arbeitgeber: Der Referentenentwurf des BeschDG-E fordert eine sorgfältige Dokumentation jeder Interessenabwägung. Eine unzureichende Dokumentation könnte im Streitfall gravierende Nachteile mit sich bringen. Der Zweck der Datenerhebung muss bei jeder individuellen Datenerhebung gesondert dokumentiert werden.
Es bleibt abzuwarten, ob und wie schnell ein künftiger Gesetzgeber ein Beschäftigtendatengesetz umsetzt. Sollte das Gesetz in der geplanten Form verabschiedet werden, müssen sich Unternehmen auf erheblich ausgeweitete Dokumentationspflichten einstellen. Es bleibt zu hoffen, dass der Entwurf in Zukunft überarbeitet wird, um unnötige Bürokratie zu vermeiden.
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https://www.humanresourcesmanager.de/arbeitsrecht/was-bei-online-recherchen-im-bewerbungsprozess-erlaubt-ist/
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