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15. Februar 2023 | von Elmar Stein

Schnelles Recruiting?!

Vor noch nicht allzu langer Zeit hatten Unternehmen (mehr als) ausreichend Bewerbungen auf ausgeschriebene Stellen. Sie hatten damit Auswahl und konnten auch andere Bedingungen durchsetzen, wie beispielsweise den Lohn und die Arbeitsbedingungen. Mit dem immer stärker einsetzenden demografischen Wandel, dem immer stärkeren Ausscheiden der Baby Boomer Generation aus dem Arbeitsmarkt und der gestiegenen Nachfrage nach Fachkräften, vor allem in bestimmten Bereichen, hat sich die Situation nach und nach aber kontinuierlich verändert. Bis neulich hat sich die Situation dahingehend entwickelt, dass sich Bewerberinnen und Bewerber zunehmend aussuchen können, wo sie arbeiten möchten, weil einige und je nach Branche und Fachbereich mehrere Unternehmen sie eingestellt hätten. Der „War for Talent“ ist ausgebrochen. Wie der Name bereits sagt, waren in dieser Situation vor allem bestimmte Fachkräfte mit bestimmten Kenntnissen auf dem Arbeitsmarkt (mehr als) heiß begehrt. Unternehmen mussten in einem immer stärkeren Umfang attraktiver werden und sich von der Konkurrenz abheben. Dies umfasste nicht nur die gezahlten Löhne, sondern Unternehmen gingen auch auf die work-life Balance immer stärker ein. Elemente moderner Arbeitsgestaltung, wie beispielsweise mehr Home Office, Gleitzeiten, flexible Arbeitszeiten, Jobtickets, Sportkurse, etc. wurden immer weitverbreiteter.

Nach und nach hat sich der Kampf um Talente auf weitere Fachbereiche und Fachkräfte ausgeweitet und ist in vielen Bereichen vom „War for Talent“ zum „War for Employees“ geworden. Wie der Name schon sagt, kämpfen Unternehmen nicht nur um (spezialisierte und talentierte) Fachkräfte, sondern auch zunehmend um „normale“ Fachkräfte und bereits teilweise auch intensiv um Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger sowie um „durchschnittliche“ Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger. Die Folge ist, dass sich die Situation für Bewerberinnen und Bewerber deutlich verbessert, wohingegen sich die Situation für Unternehmen deutlich verschlechtert. Unternehmen müssen in noch stärkerem Ausmaß im Employer Branding aktiv werden, sich als sehr guter Arbeitgeber mit sehr guten Bedingungen präsentieren und einen entsprechenden Ruf erarbeiten, um ausreichend gute Mitarbeitende für das Unternehmen anlocken zu können. Dies hat nicht nur Einfluss auf die Weiterentwicklungsnotwendigkeit der work-life Balance, sondern auch auf das Talent Management, die Personalentwicklung und die Personalführung eines Unternehmens. Insgesamt müssen diese Bereiche immer stärker aufeinander und vor allem auf die Interessen der (potentiellen) Bewerberinnen und Bewerber passen, damit diese sich eine Tätigkeit für das Unternehmen vorstellen können.

Da in vielen Bereichen der Arbeitsmarkt bereits leergefegt ist, weitet sich der Kampf um das Abwerben von Mitarbeitenden anderer Unternehmen aus. Vor allem aber bei wechselwilligen Mitarbeitenden von anderen Unternehmen tritt zunehmend ein neues Phänomen auf. Durch die im „War for Employees“ zunehmende Vereinfachung im Bewerbungsprozess – das Übersenden eines einfachen Lebenslaufes ist oftmals bereits ausreichend – hat zur Folge, dass wechselwillige Personen ihren Lebenslauf sehr einfach und mit kurzem Zeitaufwand an viele verschiedene geeignete Unternehmen schicken können. Aufgrund des Fachkräftemangels haben diese natürlich sehr gute Chancen und bekommen daher von vielen Unternehmen eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch (meist zunächst online), wodurch auch hier im Vergleich zu früher eine sehr schnelle Reaktion erfolgen kann. Logische Konsequenz ist, dass Unternehmen schnell reagieren müssen; wer sich nicht beeilt, wird bei den Bewerberinnen und Bewerbern nicht erfolgreich sein, weil diese schon eine andere Stelle gefunden haben. Aber auch schnell sein ist nicht immer ein Garant für Erfolg. Bewerberinnen und Bewerber hören sich in einem bestimmten – meist sehr kurzen Zeitraum – verschiedene Angebote an und entscheiden sich dann für das für sie beste Angebot. Diesen Trend bestätigt auch eine Studie von Stepstone, die herausgefunden hat, dass Unternehmen, die sich nicht mit ihrem Feedback beeilen es auf dem Arbeitsmarkt zunehmend schwer haben. Zudem wurde herausgefunden, dass in Deutschland knapp 30% der Fachkräfte ein Vertragsangebot am Ende des Bewerbungsprozesses bereits abgelehnt hat. Dies kann natürlich auf verschiedenen Faktoren basieren (beispielsweise der Bezahlung oder aber den Arbeitsbedingung und damit der work-life balance.

Herausforderung für Sie und Ihr Unternehmen: versuchen Sie die Bearbeitungszeit innerhalb des Bewerbungsprozesses deutlich zu verkürzen, gehen Sie individuell auf die Bedürfnisse und Vorstellungen der Bewerberinnen und Bewerber ein – sofern dies möglich ist und versuchen Sie sich von anderen abzuheben. Folge ist dadurch aber auch, dass das „Geschäft mit Bewerbungen“ noch schnelllebiger wird und den Konkurrenzkampf noch weiter anheizt. Am Ende wird es sich lohnen, vermutlich aber vor allem auch für Bewerberinnen und Bewerber. Dennoch: viel Erfolg.

Elmar Stein
Elmar Stein promoviert derzeit im Bereich systemisch-strategisches Personalmanagement. Er hat einen amerikanischen Master in Human Resource Management (mit Schwerpunkt Organisationsstrategie) und ist Gymnasiallehrer (für Englisch und Politikwissenschaften). Er ist Absolvent der DAM im Lehrgang Geprüfte/r Personalmanager/in.
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