Logo ManagementJournal
14. Juli 2020 | von Julian Stahl 

Strategie als Wayfinding | Management im digitalen Zeitalter, Folge 6

Kann mir einer nochmal in aller Kürze sagen, wo wir gerade stehen?
Lasst uns dazu nochmal kurz in die Vogelperspektive gehen!
OK, wir sind halt auch wirklich das Schnellboot in diesem lahmen Tanker.
Trotzdem wird’s Zeit, dass wir in ruhigere Gewässer navigieren.
Ist halt alles im Fluss gerade.
Um das nochmal klar zu machen: Ich bin hier am Steuerrad.
Und es ist wichtig, dass hier wirklich jeder die Extrameile geht!
Seid Ihr alle an Bord? 

Schiffs- und Navigationsmetaphern sind im Management-Kontext schon lange beliebt. Über die Kraft von Metaphern ließe sich ein eigener Podcast machen, darum soll es heute aber nicht gehen. Sondern um die Frage, was wir von den Navigations-Metaphern über Strategie lernen können?

Ob der Chef am Steuerrad, die Navigation durch unruhige Gewässer oder der Blick auf die aktuelle Lage aus der Vogelperspektive – in vielen dieser gängigen Metaphern steckt eine klassische Vorstellung von Strategie.

In vielen Lehrbüchern findet sich nach wie vor ein Verständnis von Strategie, das so oder so ähnlich definiert wird: Strategie ist der grundsätzliche, langfristige Plan, um bestimmte Ziele zu erreichen, die auf Grundlage einer ausführlichen Analyse der Situation festgelegt wurden.

Oder, um wieder auf die Ebene unserer Navigations-Metaphern zu wechseln: Die Strategie ist der eingezeichnete Weg auf der von uns erstellten Landkarte, um von unserem jetzigen Standpunkt zu unserem Ziel-Standpunkt zu navigieren. Klar kann es dann schon mal vorkommen, dass das Wetter unruhig wird, wir einen Umweg gehen müssen, oder uns gegen Konkurrenten durchsetzen müssen. Aber mit sicherer Hand wird uns der Kapitän schon zum Ziel bringen. Das Problem ist nur, dass die Metapher nicht funktioniert. Auf der Karte, die uns Anfang des Jahres 2020 vorlag, hätte die Corona-Pandemie schlicht gefehlt. Alle Navigations-Bemühungen wären umsonst gewesen. Und nicht nur das. Die Navigations-Metaphern lassen auch außer Acht, dass sich die Organisation selbst, mit all ihren Geschichten, Menschen und Themen auf dem Weg von A nach B ständig verändert. Also nicht nur die Karte verändert sich auf dem Weg, auch die Möglichkeiten der Organisation zu handeln.

Die beiden Managementforscher Robert Chia und Robin Holt haben sich auf die Suche nach einer alternativen Metapher gemacht, die auch aus dem Navigationsbereich kommt, aber besser beschreibt, was Strategie im Angesicht von Unsicherheit bedeuten kann. Ihr Vorschlag sind Wayfinding und Map-Making, also der Prozess des Weg-Suchens und -Findens und des Erstellens einer Karte zur Orientierung. Dabei sind zwei Aspekte spannend. Erstens legen sie den Fokus auf den Prozess. Anstelle eines scheinbar objektiven Wegs auf Grundlage der Analyse wird durch den Prozess des Wayfindings deutlich, dass die aktuelle Situation nicht automatisch Rückschlüsse auf die Situation in der Zukunft zulässt. Was heute noch sicher scheint, kann morgen schon ganz anders sein. Statt also von Beginn an nur einen Weg zu zeichnen, kann es sinnvoller sein, in kleinen Schritten unterschiedliche Wege zu erproben und den Weg zu wählen, der im Moment am erfolgversprechendsten erscheint. Und zweitens, macht es deutlich, dass jede Organisation sich ihre eigene Karte erstellen muss, da sie mit ihren Mitarbeiter*innen, Fähigkeiten, ihrer Geschichte und Möglichkeiten, in einer jeweils individuellen Situation ist.

Wenn wir also über Strategie nachdenken, muss das nicht der eine, richtige Plan sein. Es kann auch strategisch sein, in vielen kleinen Schritten, experimentierend die eigene Position zu ermitteln und Raum für Zufälle, Intuition und Tradition zu lassen.

Zum Vertiefen:

Robert Chia, Robin Holt (2009): Strategy without Design: The Silent Efficacy of Indirect Action, Cambridge University Press.

Julian Stahl, Doktorand am WÜRTH Chair of Cultural Production an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und Leiter der Digitalsparte von PODIUM Esslingen

 

Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Podcasts der Management im digitalen Zeitalter“.

mehr lesen
Julian Stahl 
Julian Stahl ist Doktorand am WÜRTH Chair of Cultural Production an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen – und forscht zu Kulturorganisationen, insbesondere an den Schnittstellen von Organisationstheorie und Kulturmanagement sowie Veränderungen vor dem Hintergrund der digitalen Transformation. Darüber hinaus ist er Leiter der Digitalsparte von PODIUM Esslingen und Host des PODIUM Podcasts.
DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner