Wenn sich Personen dafür entscheiden, sich für einen Job bei einem anderen Unternehmen zu bewerben, kann dies vielfältige Gründe haben. Mögliche Ursachen sind: der Wille zum Karrierefortschritt, der im eigenen Unternehmen nicht möglich ist; Unzufriedenheit mit den Vorgesetzten, der Unternehmensvision, -politik, -kultur, eine Unzufriedenheit mit dem Arbeitsklima (oft in Zusammenhang mit den Kolleginnen und Kollegen), eine unzureichende work-life balance oder Schwierigkeiten mit der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, schlechte Bezahlung oder unfaire Behandlung. Sicherlich lässt sich diese Liste noch sehr lange weiter führen mit vielen weiteren potentiellen Gründen, die auch in Kombination auftreten können, warum jemand ein Unternehmen verlassen möchte. Ist die Entscheidung einer Person gefallen, sich auf ausgeschriebene Positionen in anderen Unternehmen zu bewerben, stehen die Aspekte bei der Jobsuche im Vordergrund, die die Ursache für das Verlassen des derzeitigen Unternehmens sind. Als Recruiterin oder Recruiter sollten Sie zumindest fragen, warum sich jemand um eine neue Positione in einem anderen Unternehmen bemüht, um sich ein Bild darüber machen zu können, ob die Person beim eigenen Unternehmen glücklich sein kann beziehungsweise ob jemand zum Unternehmen passt. Ob sie darauf ein ehrliche Antwort bekommen, steht allerdings auf einem anderen Blatt Papier. Kündigt jemand seine Position von sich aus, können Sie aber normalerweise damit rechnen, dass Sie eine ehrliche Antwort erhalten und die Person auch klar und deutlich die Hoffnungen, Erwartungen und Vorstellungen äußert. Arbeitet die Person noch in der Stelle, die sie eigentlich aufgeben möchte, hat er die Möglichkeit, in dieser so lange zu arbeiten, bis er etwas besseres gefunden hat. Werden die Vorstellungen, Erwartungen und Ansprüche der Bewerberin beziehungsweise des Bewerbers nicht erfüllt oder erkennt die Person nicht eine deutliche Verbesserung gegenüber der derzeitigen Situation, wird die Person die Stelle bei Ihnen sowieso nicht antreten. Normaler strebt es niemand an, häufiger in kurzer Zeit die Stelle und das Unternehmen zu wechseln. Als Recruiterin oder Recruiter würden Sie in einer solchen Situation (vermutlich) zurecht annehmen, dass die Person ein job-hopper ist und damit auch bei Ihnen nicht lange bleiben wird. Dass Sie die Person dann nicht einstellen möchten, ist daher naheliegend. Dies weiß normalerweise auch die sich bewerbende Person und versucht daher den Eindruck von job-hopping zu verhindern und die Entscheidung für eine Position gut zu durchdenken.
Jedoch sollte sich nicht nur die bewerbende Person ausführlich darüber Gedanken machen, ob sie zum Unternehmen passt, auch Sie als Recruiterin oder Recruiter sollten sich darüber Gedanken machen. Hierbei sollten Sie vor allem die Vorstellungen, die Wünsche und Erwartungen aber auch die Qualifikation und die Erfahrung von sich Bewerbenden berücksichtigen. Ein Beispiel aus meinem Bekanntenkreis, wie Sie einen wirklich unseriösen und abwertenden Eindruck hinterlassen, der sich auch auf Ihr Unternehmen widerspiegelt, möchte ich Ihnen im Folgenden darstellen. Auf eine Bewerbung hin, erfolgte ein Anruf einer Recruiterin des Unternehmens. Sie sagte sinngemäß, Ihr Lebenslauf hat uns überzeugt und wir gehen auch davon aus, dass Sie die Aufgaben in der offenen Position sicherlich nach der Einarbeitung gut erfüllen können. Soweit klingt dies – vermutlich auch für Ihre Ohren – gut. Man würde meinen, dass ein solch begonnenes Gespräch in eine gute Richtung verläuft und die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass es zu einer Vertragsverhandlung mit allem was dazugehört kommt. Anschließend fragte die Person auch, warum man das Unternehmen wechseln möchte und in der ausgeschriebenen Position arbeiten möchte. Auch hier noch soweit, so gut. Nach der Antwort kam allerdings die Wende im Gespräch. Es wurden anschließend folgende Aussagen getroffen: bitte bedenken Sie, dass Sie in diesem Bereich praktisch noch wenig Erfahrung gesammelt haben. Sie haben zwar einen sehr hohen Abschluss, mit diesem allein können Sie das Gehalt, welches Sie sich vorstellen, jedoch nirgends erzielen. Noch weitere ähnlich ausgerichtete Aussagen machten zusätzlich und schnell deutlich, dass die Recruiterin versucht hat, die sich bewerbende Person schlecht zu Reden. Nach der Ausführung nannte Sie eine Summe, die deutlich machte, dass der Preis gedrückt werden sollte. Die Reaktion der sich Bewerbenden Person war deutlich, „erst dachte ich, ob die Recruiterin mich auf den Arm nehmen will und dann dachte ich, dass es eine Beleidigung ist; innerlich habe ich aber gelacht und es ist mir wohl nach außen auch entglitten. Gesagt habe ich der Recruiterin, dass es ein völlig inakzeptables Angebot ist und weit von dem entfernt ist, was für die Fähigkeiten und die Qualifikation angemessen und auch von anderen Unternehmen bereits geboten wurde.“
Sicherlich kann man als Unternehmen versuchen, auch bei geeigneten Personen den Preis zu drücken. In einem gewissen Rahmen ist dies auch Teil der Verhandlungen und völlig normal. Wie in diesem Fall aber geschehen, sollte man allerdings nicht versuchen, eine geeignete Person derart schlecht zu reden, nur damit eine Anstellung (eventuell) zu Stande kommt. Auch wenn die Lohnkomponente in den letzten Jahren zu Gunsten der work life balance eingebüßt hat, spielt er – vor allem in Zeiten höherer Inflation – dennoch für viele ebenfalls eine wichtige Rolle. Zudem spiegelt der Lohn auch einen Ausdruck von Respekt gegenüber der Person und deren Qualifikation und Erfahrung wider. Ein deutlich zu niedriger angebotener Lohn wirkt da als (sehr) unangemessen; es kann aber auch bis zu den Emotionen respektlos oder beleidigend kommen. Als Unternehmen sollte man sich darüber bewusst werden, was für vergleichbare Positionen im Markt bezahlt wird und man sollte sich auch darüber bewusst werden, ob die Qualifikation und die Erfahrung von sich bewerbenden Personen durch das angebotene Gehalt ausreichend gewürdigt wird. Es ist auch eine Form von Respekt. Natürlich geben sich bewerbende Personen beim Wunschgehalt vermutlich in den meisten Fällen einen etwas zu hohen Lohn an; auch um in den Verhandlungen etwas runtergehen zu können; und Unternehmen möchten das Gehalt in vielen Fällen etwas drücken. Beides gehört zum klassischen Verhandeln, sowohl auf dem Basar als auch bei der Lohnverhandlung. Den Lohn jedoch mit schlechtreden sehr deutlich drücken zu wollen, ist ein Ansatz, den man – wie dargestellt – nicht verfolgen sollte. Erstens kommt es bei der sich bewerbenden Person sehr schlecht an und zweitens ist es in den wenigsten Fällen erfolgreich. Hat ein Unternehmen eine deutlich andere Vorstellung vom Gehalt oder eine Obergrenze beim Gehalt, die weit entfernt ist, von den Gehaltsvorstellungen, die eine sich bewerbende Person hat, dann sollten Sie als Recruiterin oder Recruiter lieber gleich absagen. Beiden Seiten erspart dies Zeit und vor allem eine unangenehme Situation.