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30. Juni 2020 | von Julian Stahl 

Wer braucht noch Hierarchien? | Management im digitalen Zeitalter, Folge 4

Kaum etwas wird aktuell in Organisationen so stark diskutiert wie die klassische Hierarchie. Schaut man auf die Herkunft des Worts und übersetzt Hierarchie mit „göttlicher Ordnung“ oder der „Herrschaft des Einen“, bzw. „Heiligen“, ist das nicht verwunderlich. Wer will sich schon einer Gott-gegebenen Ordnung hingeben? Und fühlt es sich nicht manchmal in unseren Organisationen und Unternehmen trotzdem noch so an? Oben die Herrschenden, unten die Untergebenen? Die Diskussion um Hierarchen wird zusätzlich durch neue Organisationsformen befeuert, die Unternehmen aus der Software-Industrie entwickelt haben. Agiles Management oder Soziokratie beispielsweise – Organisationsformen, in denen flache Hierarchien, flexible Strukturen und Selbstorganisation im Fokus stehen. Da ist es nicht verwunderlich, dass der Ruf durch die Organisationen hallt, für flache Hierarchien zu sorgen oder Hierarchien gleich ganz abzuschaffen.

Aber wie immer bei scheinbar einfachen Antworten, lohnt es sich ein zweites Mal hinzuschauen. Denn auch die Auseinandersetzung mit Hierarchien hat zwei Seiten.

Auf der einen Seite spricht tatsächlich viel dafür, bestehende Hierarchien immer wieder kritisch zu reflektieren. Wenn wir uns mit Entwicklungen des digitalen Wandels auseinandersetzen, bewegen wir uns in einem höchst unsicheren und dynamischen Feld. Das kann dazu führen, dass die klassisch-hierarchischen Kommunikationswege zu langsam sind und Entscheidungen besser direkt dort von den jeweiligen Expert*innen getroffen werden, wo der Entscheidungsbedarf auch tatsächlich anfällt. Klar ist auch, dass Hierarchien oft dazu ausgenutzt werden, persönliche Vorteile und Machtpositionen rücksichtslos auszuspielen, auf Kosten derer, die in der Hierarchie tiefer stehen. Dabei ist die Einbindung von Mitarbeiter*innen, verbunden mit einem höheren Entscheidungsspielraum essentiell für die Übernahme von Eigen-Verantwortung und ein motivierendes Umfeld. Mehr dazu zum Nachhören auch in der dritten Folge der Podcast-Reihe.

Auf der anderen Seite kann man aber auch versuchen, zumindest für einen Moment danach zu fragen, für welche Probleme und Herausforderungen Hierarchien sinnvolle Lösungen sein können. Hätten Hierarchien nicht eine sinnvolle Funktion für Organisationen, wäre der jahrzehntelange Erfolg von hierarchischen Organisationsformen nur schwer zu erklären. Hierarchien legen klar fest, wer mit wem was bespricht und wer welche Entscheidungen trifft. Sie legen damit auch fest, wer mit wem nicht über welche Entscheidungen diskutiert. Und damit sind sie unerlässlich zu Verarbeitung komplexer Abstimmungsprozesse. Wir alle wären vollkommen überfordert, wenn wir jede getroffene Entscheidung immer wieder diskutieren müssten, und auch noch herausfinden müssten, mit wem wir überhaupt darüber diskutieren dürfen. Um Projekte umzusetzen braucht es eben auch klare Abläufe, Verantwortlichkeiten und Entscheidungen. Und diese Strukturen müssen ebenfalls von jemandem festgelegt werden. Andernfalls wären wir alle in unseren Organisationen über kurz oder lang heillos überfordert.

Nochmal zusammengefasst: es braucht beides, offene Prozesse und Kommunikation abseits der klassischen Hierarchie-Ebenen, aber eben trotzdem auch klare Entscheidungen und Strukturen in der Umsetzung. Das Problem ist, dass Hierarchien oftmals zum Machtmissbrauch genutzt werden und höhere Positionen mit mehr Kompetenz gleichgesetzt werden. Dabei wäre es klüger nach dem Nutzen hierarchischer Strukturen zu fragen und klare Verantwortlichkeiten beispielsweise für einen bestimmten Zeitraum nach Kompetenz zu verteilen. Dann kann Hierarchie nicht nur als einengend empfunden werden, sondern auch als entlastend und stabilisierend. Es wird klar, wer Ansprechperson für welches Thema ist und wie Entscheidungen getroffen werden und man wird vor zu großer Unsicherheit und Überlastung geschützt. Ob das Ganze dann Hierarchie, Struktur oder Rollen genannt wird, ist zweitrangig.

 

Julian Stahl, Doktorand am WÜRTH Chair of Cultural Production an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und Leiter der Digitalsparte von PODIUM Esslingen

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Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Podcasts der Management im digitalen Zeitalter“.

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Julian Stahl 
Julian Stahl ist Doktorand am WÜRTH Chair of Cultural Production an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen – und forscht zu Kulturorganisationen, insbesondere an den Schnittstellen von Organisationstheorie und Kulturmanagement sowie Veränderungen vor dem Hintergrund der digitalen Transformation. Darüber hinaus ist er Leiter der Digitalsparte von PODIUM Esslingen und Host des PODIUM Podcasts.
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