Während Ihres (Fern-)Studiums tun Sie es sicher jeden Tag: Sie lernen. Aber ist Ihnen bewusst, welcher intellektuelle Prozess sich dabei vollzieht und was Sie zum Lernen veranlasst?
Beim Lernen erwerben Sie Wissen (vgl. van Rossum/Hamer 2010). Das ist nicht überraschend, klingt aber einfacher als es ist, denn das Wissen, das Ihnen etwa Ihre Studienbriefe anbieten, können Sie nur dann aufnehmen, wenn Sie schon ähnliches Wissen besitzen. Sie lernen assoziativ, d. h. Sie koppeln neues Wissen an einer Schnittstelle an Ihre bestehende Wissensbasis an (vgl. Cohen/Levinthal 1990). Ein Beispiel liefert die Mathematik: Wenn Sie eine Kurvendiskussion führen wollen, müssen Sie in der Lage sein, algebraische Gleichungen zu lösen, wofür wiederum die Grundrechenarten eine Schnittstelle bilden. Ein Bereich knüpft an den nächsten an. Findet sich kein Anknüpfungspunkt für das neue Wissen, so muss zunächst das fehlende Wissen erworben und damit eine Verbindungsstelle geschaffen werden. Dies erklärt auch, warum uns manche Zusammenhänge partout nicht einleuchten: Uns fehlt die nötige Schnittstelle für das neue Wissen. Die Chance, eine solche Anschlussstelle zu finden, erhöht sich mit zunehmender Diversität der vorhandenen Wissensbasis.
Den Anlass des Lernens bildet regelmäßig ein Problem, das mit dem vorhandenen Wissen nicht zu lösen ist (vgl. Probst 1994). Dieses kann akut sein (z. B. eine am nächsten Tag anstehende Klausur) oder sich erst abzeichnen (z. B. die Lücken in Ihren Englischkenntnissen, die Sie bei Ihrem Auslandspraktikum in sechs Monaten sicher behindern werden). Bewegt Sie erst ein akutes Problem zum Lernen, so lernen Sie reaktiv, im zweiten Fall dagegen präventiv (vgl. Steinmann/Schreyögg 2005, Probst 1994). Übrigens lernen sogar manche Tiere präventiv. Sollte uns das nicht zu denken geben?
Dr. Sabine Hertrampf